Hyperemesis Gravidarum (auch unstillbares Schwangerschaftserbrechen) oder schwere Schangerschaftsübelkeit ist eine ernstzunehmende Krankheit in der Schwangerschaft. 

Da die Krankheit selten auftritt und daher eher unbekannt ist, werden die Betroffenen oft mit Unverständniss oder schlechten „gut gemeinten“ Ratschlägen konfrontiert.

Susanne B. ist eine von ihnen. Die 29jährige wohnt in Berglen und ist mit ihrem Mann zusammen in der Gastronomie selbstständig. Freudig erwarten sie ihr erstes Kind – doch die Schwangerschaft hat sich Susanne anders vorgestellt …

„Einige fragen sich, was mit mir los ist, denn die ersten 3 Monate sind ja vorbei, es müsse mir doch schon besser gehen …


Nein! Ich habe Hyperemesis Gravidarum und niemand, der das nicht wirklich selbst durchgemacht hat (also persönlich, auch nicht als Angehöriger), kann nachempfinden wie furchtbar diese Zeit ist. Man wird von 100% auf 0% gefahren. Von jetzt auf sofort. Nicht auf gleich. Man hat keinerlei Kraft mehr. Gar keine. Sobald man sich aus der waagerechten erhebt wird einem noch übler als einem schon ist. Man kann demnach auch den Haushalt nicht mehr schmeißen.
Die Medikamente, die man als Schwangere nehmen darf, sind begrenzt. Es wird nur das Erbrechen, was die extrem gefährliche Dehydration zur Folge hat, behandelt. Das gelingt mehr oder weniger gut. Dazu gleich mehr. Aber alle anderen Symptome bleiben bestehen. Das geht über Schwindel, Kreislaufprobleme, Gliederschmerzen, Müdigkeit, Depression, extremes Herzklopfen, Atemnot und so weiter zu dem gemeinsten Teil: 24/7 Übelkeit.

Also wirklich starke Übelkeit. Der Vergleich zu einer monatelangen (!) Magen-Darm-Grippe ist für die Außenstehenden am einfachsten, zeigt aber den eigentlichen Grad von Hyperemesis Gravidarum für mich nicht richtig an, denn bei Magen-Darm ist man zwar geschwächt und alles ist Kacke, aber man weiß, dass es besser wird. Das ist bei HG nicht absehbar. Man vegetiert also vor sich hin. Unfähig irgendetwas zu machen. Wenn man wirklich seiner Freundin schreiben muss „hey, mir wird von meinem eigenen Geruch gerade übel (zur Geruchsempfindlichkeit komme ich gleich nochmal), mein Mann ist arbeiten und sein Handy ist auf lautlos – mir ist nur so schwindelig, dass ich befürchte umzufallen, wenn ich jetzt in 20 min nicht schreibe, dass alles ok ist, ruf auf Arbeit bei meinem Mann an!“ ist das schon wirklich peinlich.

Geruchsempfindlichkeit und die schöne „Übelkeit“, die die Medikamente eben nicht verbessern, spielen wundervoll zusammen. Von nahezu jedem Geruch wird einem schlecht. Selbst von Gerüchen, die man vorher geliebt hat, wird einem schlecht. Selbst von Dingen, deren Geruch man zuvor gar nicht wahrgenommen hat, wird einem wirklich schlecht. Und das noch gemeinere? Gegen die Übelkeit von HG hilft essen.

Sobald etwas im Magen ist, ist es miniminiminimal besser. Aber was soll man denn essen? Es darf erstmal nicht riechen. Das macht es schon schwer. Dazu kommt, dass man nichts nochmal essen kann, was schon mal in HG retour kam. Das schränkt schon mal ordentlich ein. Bei HG muss man nicht auf eine besondere Ernährung achten. „Erlaubt“ ist worauf Frau Lust hat, da dann die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, dass es drinnen bleibt. Das ist schon mal ein großer Unterschied zu einem Infekt. Bedeutet Pommes, Schweinshaxe, Döner, Frühlingsrolle sind theoretisch erlaubt, wenn Frau das möchte. Aber es ist auch so unheimlich viel „verboten“, da man ja schwanger ist…. „rohes Fleisch“, dazu zählt auch Salami, geräuchertes wie Schinken, Medium gebratenes…. roher Fisch – also kein Sushi und nix mit glasig in der Mitte und so, kein Rohmilchkäse- also nix was schmeckt, kein Ei was noch an Ei erinnert (also komplett durch gebraten oder gekocht. Also auch keine Mousse au chocolat, kein Tiramisu, keine Spaghetti Carbonara!), keine Meeresfrüchte – nix Scampi, Calamari oder so! Und und und.


Schöntrinken, damit man wenigstens weiß warum einem seit Monaten (!) kotzübel (!) ist, darf man sich die ganze Sch**** übrigens auch nicht. Und da man nichts nochmal trinken kann, was schon mal raus kam, habe ich jetzt gefühlte 50 verschiedene Tee Sorten, die mich schon allein beim Angucken ekeln (und das erkläre mal meinem Mann, der wirklich extrem verständnisvoll und fürsorglich ist!!!)


Dazu, dass man nichts machen kann, nicht essen will (aber muss) nichts trinken kann (aber muss), kommen dann auch noch aus allen Ecken gut gemeinte Ratschläge. Ingwer soll helfen (wenn er nicht schonmal hoch gekommen wäre?!), nach 3 Monaten ist’s wieder gut (bin im 4.!), Zitrone soll gut sein (ja, hab ich aber auch schon gespuckt), iss etwas Zwieback (kam auch wieder), Cola hilft bestimmt (hallo? Koffein? Ich bin schwanger!), geh bisschen an die frische Luft ( hey, ich bin froh, wenn ich es allein und nicht krabbelnd aufs/ans Klo schaffe. Wie soll ich denn dann spazieren gehen?!),…. ja, diese Ratschläge sind alle gut gemeint, aber jeder, wirklich jeder hat genau diese. Und NEIN. Sie helfen bei HG nicht.


Meine Schwiegermama kam schon öfters zum aufräumen und putzen, weil ich dazu schlichtweg nicht in der Lage bin. Es ist erniedrigend und peinlich.
Dazu googlet jetzt erstmal jeder was denn HG ist und woher es kommt usw. das belastet die Betroffene zusätzlich, da die Gründe noch nicht geklärt sind. Einer KÖNNTE sein, dass die Frau das Kind innerlich gar nicht will! Demnach wird Frau
jetzt auch noch gefragt „was sie denn gegen das Baby hätte“, „ob man es eigentlich gar nicht wolle“ und und und. Doch! Natürlich will ich unser Kind. Sonst würde ich mir diese Hölle wirklich nicht antun. Ich denke kaum jemand würde für „jemand fremdes“ 9 Monate lang wirklich durch die Hölle gehen um danach erstmal zu erfahren wer es denn ist. Aber genau das tun HG-Mütter. Sie „opfern“ in dieser Zeit ihr Leben. So sehr lieben sie das Kind jetzt schon. Sie leben in dieser Zeit nicht, sie überleben irgendwie. Dass man sich durch die ganzen Symptome nicht nach außen hin wahnsinnig freuen kann wie die ganzen TV-Mamis in der Werbung sollte jedem klar sein. HG-Mamis weinen viel, denn sie leiden wirklich. Sie können sich nicht „richtig“ freuen – über gar nichts („Hey, du hast im Lotto gewonnen!“ „Oh super….. Yeah….. freu mich Kloschüssel umarm)


Was auch noch lustig ist? Zähneputzen. Vor allem die hinteren, unteren Innenseiten der Backenzähne. Und dann noch ausspucken. Das kennt der Körper und das Würgen geht direkt wieder los… Achso und Achtung. In den meisten gängigen Mundspülungen ist übrigens Alkohol – darfst du auch nicht nehmen.

Also seid mir bitte nicht böse, wenn ich nicht mehr als Handy gehe. Sprechen ist 1. oft anstrengend, 2. will und kann ich keine noch so gut gemeinten Ratschläge mehr hören und 3. kann ich gerade nur jammern und das mag ich nicht. Ich mag mich gerade selbst nicht, weil ich nicht ich sein kann.
Das wird wieder besser. Bald. Hoffentlich. Spätestens, wenn das Kleine da ist. Dann bin ich (hoffentlich nur noch) müde und überfordert und kaputt 😅

Vielleicht konnte ich euch jetzt einen kleinen Einblick durch Mimimi in Hyperemesis gravidarum geben. Hut ab, wer bis hier her gelesen hat. Und egal wer: ich hätte gern einen Döner mit durchgebratenem Fleisch, mit allem, ohne Peperoni und ohne Scharf. Danke“

Vielen Dank liebe Susanne für deine ehrlichen Einblicke!
Ich hoffe ihr könnt euch nun etwas besser vorstellen wie es uns HG-Betroffenen geht.
eure Sophie